Den Konsent-Muskel trainieren
«Konsent.» – «Konsent.» – «Konsent.» So tönt es oft an soziokratischen Kreisversammlungen. Aber um was geht es eigentlich beim Konsent? Wie genau funktioniert die Konsentrunde? Und kann man Konsent «fühlen»?
Zunächst: Nicht alles wird im Konsent beschlossen. Konsent brauchen Entscheidungen, bei denen es um Grundsätze eines Themas geht. Es sind Entscheide, die eine bestimmte Tragweite haben und so wichtig sind, dass sie verschiedene Blickwinkel benötigen.
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Die Technik ist einfach. Nach der Bildformung und Meinungsbildung (mehr dazu hier) formuliert die Moderation (oder in Absprache mit ihr ein Kreismitglied) einen Konsentvorschlag und bittet die Kreismitglieder nacheinander um Konsent. Jedes Kreismitglied gibt seine Zustimmung oder meldet einen schwerwiegenden Einwand an – führt diesen jedoch zunächst nicht aus. Die erste Runde ist beendet.
Die Kreismitglieder erläutern nun der Reihe nach, was ihre schwerwiegenden Einwände sind. Nachdem diese von allen verstanden wurden (Bildformung) geht es zurück zur Meinungsbildung: Der gesamte Kreis arbeitet gemeinsam daran, Lösungen für die Einwände zu finden. Daraus entsteht ein neuer Konsentvorschlag. Das Verfahren wird so lange fortgesetzt, bis alle Konsent gegeben haben.
Gut genug für jetzt
Konsent meint dabei: Ich kann damit leben. Das Leben scheint voller Entweder-Oder-Entscheidungen zu sein. Aber oft sind die Dinge nicht schwarz-weiss. Das Konsent-Prinzip bietet mehr Raum als ein «Ja» oder «Nein», «dafür» oder «dagegen». Es ist ein «Ja», bei dem es Raum für Zweifel gibt. Das bietet mehr Bewegungsfreiheit, mehr Toleranz für das, was von der eigenen bevorzugten Lösung abweicht. Man gibt Konsent zu einem Vorschlag, der «gut genug» ist, der also noch innerhalb des eigenen Toleranzbereichs liegt: good enough for now, safe enough to try.
Der schwerwiegende Einwand als Chance
Der Begriff «schwerwiegender Einwand» mag hart klingen. Als würde jemand einen Stock zwischen die Räder des Kreises stecken, woraufhin der Prozess knarrend zum Stillstand kommt. Aber schwerwiegende Einwände sind kein Veto! Der Prozess wird durch den schwerwiegenden Einwand nicht angehalten, im Gegenteil: In unserer Erfahrung tut der Kreis sein Bestes, um eine Lösung zu finden. Oft sind schwerwiegende Einwände eine Bereicherung – weil sie die Entscheidung besser machen! Oft können kleine Anpassungen, wie z. B. die Vereinbarung einer Probezeit, bereits ausreichen.
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Konsent – kann man das fühlen?
Aber woher weiss ich, ob ein Einwand wirklich schwerwiegend ist? Das ist – besonders am Anfang – nicht immer so einfach. Es ist ein Abwägen, das Ergebnis eines inneren Prozesses. Folgende Fragen können hilfreich sein:
- Trägt der Vorschlag dazu bei, unser gemeinsames Ziel zu erreichen?
- Steht er nicht im Widerspruch zu anderen Entscheidungen?
- Ist er für die Beteiligten nicht unnötig oder schädlich?
- Habe ich ein gutes Gefühl dabei?
Man spricht in der Soziokratie auch von einem «argumentierten Einwand». Das heisst, ich sage nicht «Nein», ohne zu begründen und zu erklären (das wäre ein Veto). Das heisst jedoch nicht, dass ein Einwand nur valide ist, wenn sofort eine stringente Argumentation vorgetragen wird. «Kein gutes Gefühl» ist z.B. ein sehr subjektives Kriterium. Gerard Endenburg, der Begründer des SKM, sagt dazu: «Wenn ich bei einer Entscheidung kein gutes Gefühl habe, fangen andere an, an mir «herumzutüfteln». Sie versuchen herauszufinden, woher dieses Gefühl kommt.» Der Kreis kann also der Einwandgeber:in dabei helfen, die Ursachen hinter dem unguten Gefühl zu finden. Um dann zu einer besseren Entscheidung zu kommen.
Konsent braucht Übung
Doch mit dem Konsent ist es wie mit dem Autofahren: Man lernt es nicht aus einem Buch. Man muss sozusagen seinen «Konsent-Muskel» trainieren. Damit man nicht vor der Spannung davonläuft, die ein Dissens erzeugt. Und damit man, statt zu streiten und zu verhandeln, die Energie darauf verwendet, gemeinsam Lösungen zu finden.
Es gibt keine Garantie, dass man als Kreis einen Konsent findet. Aber: sehr häufig ist es möglich – auch in vertrackten Situationen, in denen der Prozess stagniert ist. Wir haben erlebt, dass Gruppen so erstaunt waren, ein sich über Jahre hingezogenes Problem in wenigen Sitzungen gelöst zu haben, dass sie sich selbst mit Applaus belohnten.
Kurz gesagt: Durch das Konsentprinzip werden die Entscheidungen besser, weil es verschiedene Sichtweisen der Realität anerkannt. Das Ergebnis ist, dass alle mit dem Beschluss leben können, sich für ihn verantwortlich fühlen und er in der Praxis auch wirklich umgesetzt wird.
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