«Die Delegierten machen die Treffen wirklich anders»
Vacumetal lackiert und metallisiert Verpackungen für Konsumgüter. Wenn Sie eine Flasche Chanel-Parfüm oder einen Lippenstift von L’Oréal sehen, besteht die Möglichkeit, dass Vacumetal den Sprühkopf oder den Verschluss beschichtet hat. Das Unternehmen beschäftigt über hundert Mitarbeitende und arbeitet seit einem Jahr mit dem Soziokratischen Kreisorganisationsmodell (SKM). Was hat sich alles verändert?
Jean-Paul Schuurmans, der Direktor von Vacumetal, schmunzelt, wenn er von den typischen Konflikten zwischen Büro und Produktion erzählt. Die Leute im Büro nervten sich darüber, dass sie die Mitarbeitenden der Produktion ständig daran erinnern mussten, die korrekte Arbeitskleidung zu tragen. Die Leute in der Produktion hingegen fragten: «Was machen die im Büro überhaupt den ganzen Tag?» Diese «Wir-gegen-sie»-Atmosphäre führte zu Verärgerung und Missverständnissen. Vacumetal wollte das ändern – und gleichzeitig das Unternehmen kontinuierlich verbessern.
Die Kluft zwischen Büro und Produktion schliessen
Auf der Suche nach Alternativen stiess das Unternehmen auf die Soziokratie. «Wir dachten: Damit können wir die Lücke zwischen Büro und Produktion schliessen!», sagt Prozessmanager Daan de Waal Malefijt. 2021 begann ein Pilotprojekt mit einigen Abteilungen, danach wurde die Soziokratie unternehmensweit eingeführt. Vacumetal arbeitet nun seit über einem Jahr mit der Soziokratie und Malefijt und Schuurmans sind sich einig: Es ist eine grosse Veränderung. Es geht um die Art und Weise, wie das gesamte Unternehmen geführt wird.
Dabei handelt es sich nicht um leere Worthülsen, im Sinne von: «Wir verstehen uns jetzt alle besser», sondern um konkrete Veränderungen. Veränderungen, die Brücken über die Kluft zwischen Büro und Produktion gebaut haben. Und welche zudem zu beträchtlichen Einsparungen an Produktionskosten geführt haben.
Zusammen mit den richtigen Leuten Entscheidungen treffen
Die Einsparungen entstanden durch Vorschläge, die in den Sitzungen des Produktionskreises diskutiert wurden. Seit dem Pilotprojekt finden regelmässig Kreisversammlungen mit Delegierten und Leitungen in verschiedenen Bereichen der Organisation statt. Auch dem Topkreis gehören Delegierte der Produktion an. Entscheidungen werden im Konsent getroffen.
Vor allem für die Produktion war das eine neue Erfahrung. Malefijt, der Prozess-Manager, sagt dazu: «Fragen Sie Mitarbeitende nach ihren drei grössten Problemen bei der Arbeit. Sie werden Ihnen mühelos antworten und Ihnen auch Lösungen präsentieren.» Aber in konventionellen Betrieben besteht oft weder Zeit noch die Möglichkeit, Ideen an die richtige Person weiterzugeben. In den Kreisen jedoch gibt es die Zeit, um über die Arbeit nachzudenken. Und: «Man sitzt dort direkt mit den richtigen Leuten zusammen.»
Delegierte & doppelte Kopplung: Gemeinsam Probleme lösen
«Die Delegierten machen die Treffen wirklich anders», meint auch Direktor Schuurmans. Er sagt: «Das Potenzial in den Menschen zu sehen, ist meiner Meinung nach die Stärke der Soziokratie. Ich habe oft einen Stapel Probleme auf meinem Schreibtisch. Ich musste mir immer Lösungen einfallen lassen.» Jetzt hingegen sei die gesamte Organisation mit der Lösung von Problemen beschäftigt.
Dank der doppelten Kopplung fliessen Informationen durch die verschiedenen Ebenen: so wurde beispielsweise auch klar, warum die Produktionsmitarbeitenden die obligatorische Arbeitskleidung nicht tragen wollten: sie ist unpraktisch und behindert bei der Arbeit. Ein Hilfskreis sucht jetzt nach anderen Optionen, welche die rechtlichen Bestimmungen erfüllen und gleichzeitig die Arbeitsrealität der Mitarbeitenden berücksichtigen.
Veränderungen, die Zeit und Begleitung brauchen
Auch die Diskussionskultur an den Kreisversammlungen verändert sich. Malefijt sagt dazu: «Man muss andere nicht mehr vom eigenen Standpunkt überzeugen, sondern betrachtet die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Diskussionen werden nun auf der Grundlage von Inhalten geführt.» Abwechselnd zu sprechen bedeutet, dass alle mehr zuhören. Auch das ist gewöhnungsbedürftig. «Ich musste ein paar Mal bis zehn zählen», sagt Direktor Schuurmans. «Vor allem, wenn man mit etwas nicht einverstanden ist, möchte man es sofort sagen. Unterdessen kann ich mich besser zurückhalten. Aber wir müssen daran arbeiten, dass es so bleibt.»
Schuurmans hält externe Unterstützung für entscheidend, bis sich die soziokratische Praxis etabliert hat: «Wir sprechen hier von einer Verhaltensänderung. Das kann man nicht aus einem Buch lernen. Man muss üben und ein Feedback von einem Beobachter bekommen. Und am Anfang braucht man wirklich eine externe Moderation. Sonst verfällt man sofort wieder in alte Verhaltensmuster.»
Schliesslich: Soziokratie ist keine schnelle Lösung. Schuurmans, der Direktor von Vacumetal, sagt dazu: «Man muss eine Zeit damit arbeiten, um die vielen Vorteile zu erkennen. Am Anfang dachte ich, dass das SKM eher ein Ventil für die Mitarbeitenden ist. Aber es ist viel mehr. Ich merke jetzt: Wir bauen gemeinsam etwas auf. Es geht um uns und nicht mehr um mich.»
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