Das Gewinner-Verlierer-Paradigma und seine Folgen überwinden
Nach jedem Fussballspiel gibt es glückliche Gewinner und enttäuschte Verlierer. Oft lassen die Verlierer ihre Wut an der gegnerischen Mannschaft, den Schiedsrichtern oder den Anhängern der Siegermannschaft aus. Züge und Busse werden demoliert, Schaufenster eingeworfen. Wahlen in demokratischen Ländern ähneln einem Fussballspiel. Alle legalen (und in einigen Ländern auch illegalen) Mittel werden eingesetzt, um zu gewinnen.
Doch dient es dem Interesse der Bevölkerung, dass Kandidat:innen im Wahl-Kampf nicht davor zurückschrecken, sich gegenseitig zu verhöhnen und zu lügen, nur um mit einer Mehrheit der Stimmen zu gewinnen?
Dient es dem Interesse der Bevölkerung, differenzierte Meinungen in Wahlen – politische Entscheidungsprozesse ersten Ranges – kaum zu berücksichtigen? Dient es dem Interesse der Bevölkerung, dass Wahlsieger:innen damit rechnen müssen, von ihren Gegner:innen bei jeder Gelegenheit angegriffen zu werden?
Korrigierbar & stark statt autoritär
Wie lange würden Organisationen überleben, wenn sie ihre Verantwortlichen auf diese Weise wählen würden – wer aber wollte autoritäre Entscheidungsprozesse als zukunftsweisend für die Menschheit im 21. Jahrhundert empfehlen? Organisationen profitieren von fähigen und von allen akzeptieren Führungskräften, die im Rahmen einer soziokratischen Entscheidungsfindung sowohl stark als auch korrigierbar sind. Die Politik könnte von solchen partizipatorischen Organisationen lernen, Führungspersönlichkeiten ohne Win-Lose-Spiele zu finden. Denn auch innerhalb und zwischen Städten, Staaten oder Länderverbänden gibt es – wie bei Organisationen – ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Verantwortung. In diesem Fall das friedliche und respektvolle Zusammenleben.
Gemeinsam problemlösungsfähig: Aufmerksamkeit & Absicht verbinden
Eine wesentliche Dynamik für die Weiterentwicklung der Problemlösungsfähigkeit in Gruppen und Organisationen ist die Verbindung von Aufmerksamkeit und Absicht. Aufmerksamkeit als offene und klare Beobachtung schafft einen Raum für gegenseitiges Verständnis. Die Absicht, diese Aufmerksamkeit auf Ziele zu lenken, die mit gemeinsamen Werten übereinstimmen, verwandelt Ideen Einzelner in gemeinsame, zielführende Handlungen. Zusammen stärken sie das individuelle wie das kollektive Bewusstsein.
Soziokratische Governance kann diese Synergie in Organisationen und Gesellschaften verkörpern. Durch die Förderung der Entscheidungsfindung im Konsent, des aktiven Zuhörens und der Verbindung der einzelnen Gruppen in einer Kreisorganisation entwickelt sie eine gemeinsame Aufmerksamkeit, bei der jede Stimme zählt. Diese Aufmerksamkeit wird von einer gemeinsamen Absicht geleitet, die im Zweck der Körperschaft verwurzelt ist. Die Soziokratische Kreisorganisation wird zu einem Hebel für das Schaffen aufeinander abgestimmter Gruppen, die in der Lage sind, innovativ zu sein und effektiv zusammen zu wirken. Sie schafft ein kollektives Bewusstsein, in dem die Zielerreichung des Einzelnen das Erreichen der gemeinsamen Ziele fördert. Durch die soziokratische Verbindung von Aufmerksamkeit und Absicht werden Körperschaften menschlicher, anpassungsfähiger und widerstandsfähiger.