Management-Ambivalenz & Kündigungen
Management-Ambivalenz & Kündigungen
Nicht selten ist das Führungsverhalten von Leitungspersonen von Ambivalenz geprägt. Da ist die grosse Sehnsucht wegzukommen von der exponierten, öfter auch einsamen Position. Wie gerne würde man Verantwortung teilen, gar kollegial zusammenarbeiten, statt sich als nie genug arbeitender „Flaschenhals“ zu erleben, der es letztlich doch alleine entscheiden und verantworten muss. Und welche Leitungsperson wünscht sich nicht (noch) engagiertere Mitarbeitende, die wirklich mittragen?!
Doch da gibt es auch eine andere Seite. Die will, nein, muss das Steuer festhalten, es im Griff haben, selbst die Richtung vorgeben, ungestört gestalten. Sie weiss, dass es niemand sonst so gut kann. Sie geniesst die Privilegien, die Gestaltungsmacht traditioneller Leitungspositionen. Wer wollte ihr das verdenken?
Auf Reflexionsprozesse einlassen
Gerade Leitungspersonen, die sich für Soziokratie interessieren, ringen mit dieser Ambivalenz. Gelingt es ihnen, sich auf einen bewussten Lern- und Reflexionsprozess einzulassen, eröffnet der zentrale, die Gleichwertigkeit in der Entscheidungsfindung betonende Aspekt des Soziokratischen Kreisorganisations-Modells (SKM) grosse Chancen. Dann entsteht ein spannender gemeinsamer Entwicklungsweg, vor allem auch auf der Leitungsebene. Gleichzeitig ist es auch für Mitarbeitende ein Lernprozess, den Blick über die eigene Aufgabe hinaus zum gemeinsamen, auch übergeordneten Ziel hin zu entwickeln. Bekanntlich unterliegen auch Mitarbeitende einer gewissen Ambivalenz. Und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, eigenständig Entscheide zu fällen und dafür gerade zu stehen kann nicht einfach vorausgesetzt werden. Unermüdlich erinnert uns der Neurobiologe Gerald Hüther seit vielen Jahren daran, dass Verantwortung-übernehmen und des Gestaltungsmacht-teilen Meta-Kompetenzen sind – Haltungen, die am besten durch Erfahrung erlernt werden können.
Erfahrungsräume aufbauen
Wenn das Bewusstsein bzw. die Bereitschaft fehlt, solche Erfahrungsräume aufzubauen und zu nutzen, wirkt die Ambivalenz weiter (innerhalb der SKM kommt hier der Qualität der Kreisversammlungen eine entscheidende Rolle zu). Sie äussert sich in einem für Mitarbeitende nicht verlässlich einschätzbaren Führungsverhalten, das mal eher autokratisch daherkommt, mal einbeziehend. Erleben Mitarbeitende hier kein klares Vorbildverhalten, spiegeln sie das entsprechend.
Leitung als Vorbild
Mit der Konsequenz, dass sich Mitarbeitende nicht verlässlich gefragt fühlen, entsprechend mal Verantwortung übernehmen und öfters auch mal nicht – eben ähnlich dem nicht konstanten Vorbild der Leitung. So entsteht Frustration und Enttäuschung, auf beiden Seiten. Die Leitung fühlt sich nicht wie gewünscht entlastet. Ein wirklich produktiver, gleichwertiger Leitungskreis kann sich nicht etablieren. Die Leitenden der nächsten Ebene und ihre Mitarbeitenden sind ebenfalls frustriert, weil sie Verantwortung nicht konsequent übernehmen können und sich immer wieder direkten Eingriffen in ihre vereinbarten Domainen ausgesetzt sehen – entgegen den vereinbarten Grundsatzentscheiden. In schwierigen Situationen wird dann umgekehrt gerne Verantwortung nach oben weitergereicht.
Loyalitätskonflikte und Abhängigkeit
Allerdings finden sich auch Leitungspersonen, die gerade dann gerne Verantwortung nach unten abgeben, wenn es um unangenehme Themen geht, für die sie sich nicht alleine exponieren und damit unbeliebt oder gar angreifbar machen wollen. So möglicherweise geschehen im Rahmen des selbstentwickelten Partizipationsmodells eines bekannten Schweizer Touristikunternehmens. Wenn dort ein Geschäftsleiter die Entlassungsentscheide an die Teams delegiert und die entsprechenden Sitzungen dazu selbst als Chef moderiert, erscheint das doppelt problematisch. Nicht zuletzt entstehen auf diese Weise extreme innere und teambezogene Loyalitäts- und Abhängigkeitskonflikte. Denn wem gegenüber soll und kann ich jetzt loyal sein? Meinen Teamkolleg*innen oder dem Chef, von dem ich als angestellte Person abhängig bin?
Kündigungen soziokratisch
Soziokratisch gesehen, wäre die Kündigungskompetenz auf der Teamebene tatsächlich denkbar. Dafür bräuchte es aber eine verlässlich eingespielte Kreisstruktur, in der die wichtigen Entscheide schon länger gleichwertig (im Konsent) entschieden worden sind – z.B. auch Einstellungen von Kolleg*innen, Leitenden. Es bräuchte Kriterien aus der obersten Leitung für die Entlassungen, die in der Kreisstruktur zusammen mit den Delegierten aus den unteren Kreisen erarbeitet worden sind. Schliesslich: Weil in der Kreisstruktur die verschiedenen Sichtweisen, Kompetenzen und Ideen zusammenkommen, hätte es vielleicht noch andere Lösungen für die finanzielle Schieflage gegeben – so dass zumindest weniger Mitarbeitende hätten entlassen werden müssen (siehe Interview mit Piet Slieker).
Details im Überblick
- Voraussetzung: Soziokratie ist eingeführt und wird seit längere Zeit gelebt (die 4 Basisprinzipien)
- Entsprechend ist die Entwicklung der finanziellen Situation der Organisation allen bekannt (Transparenz der Informationen) und schon früh hat jeder Kreis die Möglichkeit darüber nachzudenken, was der eigene Bereich zur Verbesserung der Situation beitragen kann (auch für die Organisation insgesamt)
- In die Einschätzung der finanziellen Situation und den daraus resultierenden, möglicherweise einschneidenden Massnahmen und Entscheide (letztendlich Topkreiskreisebene) sind auch Delegierte der unteren Kreise beteiligt
- Falls es zu Kündigungen kommen muss, werden dort die Grundsätze dafür festgelegt: z.B. wieviel Geld eingespart werden muss, Sozialplankriterien, Kriterien für Entlassungen
- Jeder Kreis verfeinert die Kriterien, und entscheidet die entsprechenden Massnahmen zur Erfüllung seiner Ziele: Einsparungsmöglichkeiten im eigenen finanziellen Bereich, worunter auch Entlassungen fallen können. Falls Entlassungen: die Verfeinerung der Kriterien sowie das Verfahren, wie Entlassungen entschieden werden
- Die Festlegung der konkreten Namen ist dann i.d.R. Teil der Ausführungsstruktur und wird von den Leitenden vollzogen. Der jeweilige Kreis überprüft, dass der vereinbarte Ablauf und die Kriterien korrekt berücksichtigt wurden (analog obigen Prinzipien kann auch der Kreis gemeinsam die konkreten Entlassungen verantworten).
Insofern ist klar: SKM verhindert nicht vorhandene Ambivalenzen in Leitenden und Mitarbeitenden. Doch sie macht diese sichtbarer und damit steuerbarer. Und sie stellt Verfahren zur Verfügung, um mit diesen Ambivalenzen produktiv im Sinne des gemeinsamen Ziels umgehen zu können.
Bei Fragen wenden Sie sich gerne an christine.kraemer@thesociocracygroup.ch