Nachhaltig Mitarbeitende zu Bleibenden machen – ein organischer Weg
Wie findet und behält man qualifizierte Mitarbeitende, wenn es z. B. allein im vergangenen Quartal in der Schweiz immer noch 93.238 offene Stellen gab?
Man kann sie mit einem schicken BMW-Cabrio locken, einem reizvollen Bonus oder einem grosszügigen Wellnessurlaub, am besten gemeinsam mit Partner:in. Aber all das ist keine Garantie dafür, dass sie bei dir bleiben werden. Denn anderswo lockt ein grösseres Auto, ein lukrativerer Bonus oder ein Sabbatical mit Rückkehrgarantie. Sind Fluten von Abschieds-Apéros also unvermeidbar?
Mindestens genauso wichtig wie Schnickschnack ist Autonomie
Autonomie ist die Freiheit, die eigene Arbeit so zu gestalten, wie du es für richtig hältst. Das kann sich auf Abläufe, Arbeitszeiten, Homeoffice oder längere Urlaubszeiten beziehen.
Autonomie ist einer der drei Faktoren für Freude an der Arbeit (die anderen sind Verbundenheit und Kompetenzen), was DECI und RYAN schon in den 80er Jahren erkannten.
Wer in seiner Arbeit echte Eigenverantwortung erlebt, bleibt länger in dem Unternehmen, in dem er/sie diese Erfahrung macht. Auch Mitarbeiter:innen in Callcentern, die Kund:innen eher nach eigenem Ermessen helfen konnten als nach strengen Skripten, blieben dort länger beschäftigt als in Callcentern mit detaillierten Vorgaben. Sie waren auch weniger krank.
Die Kunst besteht darin, das richtige Gleichgewicht zu finden
Natürlich gibt es Grenzen. Eine Mechanikerin, die nur von Mitternacht bis acht Uhr morgens Waschmaschinen reparieren will, kann nur wenigen Kunden helfen. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen den Vorgaben, die der Organisation ermöglicht, kohärent zu funktionieren, und der Freiheit, die die Mitarbeitenden brauchen, um nach eigenem Ermessen zu arbeiten. Dieses dynamische Gleichgewicht will (immer wieder) vereinbart und überprüft werden, damit die Autonomie der einen nicht zum Ärgernis für die anderen wird.
Das übliche Alles-oder-Nichts-Tauziehen vermeiden
Eine Senior Product Managerin beantragt sechs Monate Urlaub für eine grosse Reise, aber das Unternehmen gewährt ihr diesen nicht. Daraus kann schnell eine Alles-oder-Nichts-Situation werden, mit dem Ergebnis: Sie kündigt. Angesichts des Fachkräftemangels findet sie schnell wieder Arbeit. Aber das Unternehmen muss eine teure Interimslösung finden. Ein Gleichgewicht lässt sich leichter finden, wenn Organisation und Mitarbeiter:in sich gleichberechtigt auf die Realitäten des anderen einlassen. Wenn alle das «Warum» hinter der Sichtweise der anderen Seite verstehen. Das Schöne daran: Wenn man dieses Warum versteht, wird es einfacher, kreative Lösungen zu finden. Das Konsent-Prinzip bietet dafür erprobte Anhaltspunkte.
Vereinbarungen über Leitplanken auf intelligente Weise treffen
Sich gegenseitig verstehen muss nicht viel Zeit kosten. Wenn man diesen Abwägungsprozess jeden Tag durchführt, dann allerdings schon. Dann muss man sich ständig mit seinem Vorgesetzten und seinen Kollege:innen beraten. Aber Meetings sind niemandes Hobby und ausserdem kommt dann niemand mehr zum Arbeiten. Wie kann man solche Vereinbarungen dann auf intelligentere Weise treffen? Indem man regelmässig, ca. alle 6 bis 10 Wochen, und bei Bedarf auch öfter, auf der Grundlage der Gleichberechtigung Vereinbarungen über notwendige Leitplanken bzw. Grenzen trifft. Innerhalb dieser Grenzen kann jede/r frei agieren, auf jeder Ebene der Organisation. So haben die Mitarbeitenden echte Mitbestimmung über die Grenzen ihrer Autonomie in der täglichen Arbeit. Und aus Teammeetings ohne grosse Beteiligung werden Entscheidungs-Meetings («Kreisversammlungen»), die effiziente Zusammenarbeit organisieren. Solche regelmässigen Entscheidungs-Meetings haben den weiteren grossen Vorteil, dass sie, die Möglichkeit bieten, Dinge anzusprechen und allfällige Spannungen auf den Tisch zu bringen, statt eben nichts zu sagen und zu kündigen.
Was haben Führungspersonen dann noch zu tun, wenn Mitarbeitende mitbestimmen?
Genug! Endlich können sie ihre To-do-Liste abarbeiten. Und – weil viel Mikromanagement wegfällt – sich auf das Wesentliche ihrer Leitungsarbeit konzentrieren.
Wie war das mit dem BMW-Cabrio? Ach. Behalte die Leasingkosten lieber in deiner Organisation. Möchtest du Mitarbeiter:innen finden und binden? Strukturelle Eigenverantwortung ist ein Schlüsselwort. Eine klare Win-Win-Situation.



